
Vor rund 30 Jahren kam ein Wunder in eine triste, in Gewalt, Armut und Vergessenheit versinkende spanische Hafenstadt. Bilbao, die ehemalige Industriestadt, eröffnete das Guggenheim Museum. Dieses Wunder begann eigentlich schon etwas früher, in Form eines Hochwassers Mitte der 1980er Jahre, das den Hafenbereich und Grundstücke im Umfeld vernichtete. Schaden als Chance, dachten sich die Stadtplaner und entwarfen einen Masterplan, den sie in einer Einigkeit mit allen Akteuren umsetzten, die ihrerseits an ein Wunder grenzte. Das Ergebnis: „In der Selbstverständlichkeit, in der die Menschen (…) am Ufer des Nervión flanieren, liegt die eigentliche Überraschung. Die Szene wirkt, als wäre alles schon immer Teil der Stadt gewesen: die breiten Promenaden, das Surren der Straßenbahn, die verstreuten Kunstwerke und Eiscreme-Pavillons, dazu die Oper, die gläsernen Bürotürme und natürlich das Guggenheim Museum.“ (Bauwelt.de) Das ist nichts anderes als der „Bilbao-Effekt“, benannt nach diesem Phänomen in der spanischen Stadt.
Bilbao gelang es, sich mit einem überstrahlenden Bauwerk, dem Guggenheim Museum, einem echten Signature Building, neu zu erfinden und ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln, das auf vielen Ebenen Wirkung zeigte und zeigt. Die Stadt vollzog mit diesem neuen Gebäude, mit dem umliegenden Areal, einen Imagewandel nach außen und nach innen. Eine neue, eingangs geschilderte Atmosphäre breitete sich aus und zog Touristen an. Weitere Architekt:innen sowie Großstadtnomaden, die dank ihrer Selfie-Kultur ihrerseits zur steigenden Bekanntheit beitrugen, sind unter den neuen Gästen. Der Branchenmix veränderte sich und auch bei den Bewohner:innen stellen die Stadtplaner:innen neuen Tatendrang und wachsende Eigeninitiative fest. Entsprechend positiv fällt die Bilanz einer Studie aus, die sich mit dem „Bilbao- oder Guggenheim-Effekt“ beschäftigt hat: „Eine Analyse des Bloomberg Center for Cities an der Harvard University legte 2017 dar, dass sich das BIP von Bilbao zwischen 1996 und 2015 verdoppelt hatte, trotz der Finanzkrise 2008. Die Arbeitslosenquote ging auf 15,4 Prozent zurück und lag damit sieben Prozentpunkte unter dem spanischen Durchschnitt. Auch das gewagte Projekt „Guggenheim“ hatte sich rentiert. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Beatriz Plaza von der Universität des Baskenlandes resümierte 2007, dass sich die Kosten des Museums allein durch die Besucherzahlen innerhalb von sieben Jahren amortisiert hätten. Nach der Eröffnung 1997 besuchten jährlich 850.000 bis über 1 Million Menschen das Museum. Vor der Eröffnung des Guggenheim Museums lag die jährliche Besucherzahl aus dem Ausland in der gesamten Stadt bei gerade einmal 100.000.“ (Bauwelt.de)
Dass dieser Effekt nicht nur für vergessene ehemalige Industriestädte relevant ist, liegt auf der Hand: Selbst eine Großstadt wie Paris, eine Weltstadt, der es an kulturellen und baulichen Highlights wirklich nicht fehlt, benötigt urbane Bauimpulse, vor allem an der Peripherie. Die Beweggründe sind überall die gleichen, ob in einer Weltstadt oder einem kleinen Dorf: Reisende anziehen, Arbeitsplätze schaffen, urbane Revitalisierungsprozesse vorantreiben. Und: Das Selbstbewusstsein der Bewohner:innen stärken bzw. hochhalten.
Wirtschaft, Kultur, Lebensqualität, Tourismus, Flair – und das alles „instagramable“. Dieser Wirkungsmix ist für alle Stadtplaner:innen attraktiv und relevant, es herrscht mittlerweile sogar eine gewisse Notwendigkeit, hochwertige Kulturbauten zu realisieren, um im globalen Destinations-Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren. Ob es jetzt ein singuläres Gebäude ist wie das Guggenheim Museum, die Philharmonien in Hamburg oder in der Kleinstadt Stettin, oder gleich ganze „Cultural Cluster“ wie der futuristische Kultur-Stadtteil in Valencia: Alle diese Projekte benötigen einen durchdachten Masterplan und den gemeinsamen Willen aller beteiligten Kräfte, diesen Realität werden zu lassen. Vorbildlich ist hierfür wieder Bilbao: Während man nicht selten bereits in der Planungsphase an kommunale oder institutionelle Grenzen stößt, war man in Bilbao der Überzeugung, dass alle Akteur:innen – Stadt, Region, Bahn- und Hafengesellschaften sowie Grundstücksbesitzer:innen – profitieren, wenn die Gesamtrichtung stimmt. Ein motivierendes Beispiel für unsere Arbeit, nicht nur bei Projekten mit auffälliger Architektur und „Signature“-Potenzial.
Zum Nachlesen:
Die Langzeitwirkung des Bilbao-Effekts:
Signature Buildings und Selfie-Effekt:
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