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Architektur, Psyche, Lebensqualität – wie Räume auf den Menschen wirken

„Es ist unstrittig, dass der sogenannte gebaute Raum unser Verhalten beeinflusst. Räume können das Wohlbefinden fördern oder das Gegenteil bewirken. Räume beeinflussen unser Fühlen und Denken und unser Sozialverhalten.“ Ein deutliches Statement von Dr. Harald Stefan, MSc. und PhD. Doktor phil. Pflegewissenschaft. Er arbeitet für den Verein NAGS Austria, dem Netzwerk Aggressionsmanagement im Gesundheits- und Sozialwesen und hat hier u.a. die Auswirkung von Architektur auf Personal und Patient:innen untersucht. Mit Erkenntnissen, die nicht nur für die Architektur von Pflege- und Krankenanstalten zu denken geben sollten.

Architektur beruhigt – oder auch nicht

Wenn kranke Menschen besonders empfindlich reagieren, hat Architektur dann nicht auch bereits Einfluss auf das Wohlbefinden nicht-kranker Menschen? Selbst ein Gesunder kann sich der Wirkung von Räumen nicht entziehen. Denn zweifelsohne wirken manche Gebäude bedrohlich, machen Zimmer beengend, manches wirkt furchteinflößend, beunruhigend; „Das macht mich krank“, sagt man da gerne einmal. Manche Orte hingegen werden als gemütlich empfunden, heimelig, wohltuend, so dass man gar nicht mehr weg möchte. Woran liegt das? Werden gerade diese psychologischen Auswirkungen von Architektur in ihrer Gänze berücksichtigt? Falls ja, dann zumindest noch nicht lange, die Erforschung und Berücksichtigung der Zusammenhänge von Architektur und menschlicher Psyche ist noch sehr jung, wissenschaftliche Forschungen zum Thema Architektur-Psychologie gibt es erst seit den 1980er-Jahren: „Erst nachdem wir die Bedarfsdeckung nach dem Krieg erledigt haben, erst dann haben wir angefangen zu überlegen, was Architektur, was Räume, mit dem Menschen eigentlich macht“, so Birgit Dietz von der TU-München.

Der Blick ins Grüne heilt

„Wir wissen, dass die Wirkung von Architektur bei kranken Menschen wesentlich intensiver ist. Bei älteren Menschen oder Menschen mit Demenz ganz besonders. Je unsicherer der Mensch ist, desto mehr Einfluss hat die räumliche Umgebung auf ihn und sein Wohlbefinden, sein Wohlfühlen und die Gesundheit,“ führt die Architektin Dr. Birgit Dietz weiter aus. Im Umkehrschluss heißt das, dass auch gesunde Menschen sich dem Einfluss von Architektur nicht entziehen können, entsprechende – positive – Wirkung sich nutzbringend einplanen und umsetzen ließe. Dabei streift der Fachbereich der Architekturpsychologie auch andere Bereiche, wie zum Beispiel die Umwelt- und Sozialpsychologie. „Man beschäftigt sich damit, wie Gebäude und Einrichtungen auf Menschen wirken. Dabei ist es wichtig, den kulturellen Hintergrund bei der Gestaltung von Räumen zu berücksichtigen. Z.B. bevorzugen Menschen in Nordeuropa helle Räume mit Ausblick, während im Süden dies eine untergeordnete Rolle spielt. Gute Architektur sollte, den kulturellen Hintergrund der Nutzer:innen erkennen, hinterfragen und aktiv einbeziehen,“ so Dr. Harald Stefan. Der schwedische Architekt Roger Ulrich konnte übrigens 1984 im Rahmen einer entsprechenden Untersuchung nachweisen, dass der Blick ins Grüne die Heilung nach einer Operation beschleunigt. In weitere Folge haben mehrere Studien belegt, dass Menschen, die sich in einem Krankenhaus wohlfühlen, weniger anfällig für Infektionen sind. Sie stehen schlicht und einfach weniger unter Stress, wenn die Umgebung „passt“.

Gute Architektur wirkt positiv auf die seelische Gesundheit – und das soziale Gefüge

Was „gute Architektur“ ist obliegt natürlich auch unterschiedlichen individuellen Vorlieben und Geschmacksempfinden. Dennoch bleiben allgemein gültige Erkenntnisse, die auf jede Psyche gleichermaßen ihre Wirkung haben – egal ob „modern oder klassisch“, egal ob gesund oder krank. Denn erwiesenermaßen wirkt „gute“ Architektur im Sinne der eigenen seelischen Gesundheit und wirkt außerdem präventiv gegen Aggression und Gewalt. Dr. Harald Stefan: „Das Errichten und Planen von Gebäuden ist das Gestalten von Lebensraum, der auf die Nutzer:innen zugeschnitten sein muss. Gelingt dies, entsteht mehr Zufriedenheit und mehr Erfolg im Outcome.“

Diese Gestaltung bezieht sich nicht nur auf die Ausprägungen eines einzelnen Raumes oder Gebäudes. „Spätestens seit der Pandemie wissen wir, wie wichtig es ist, dass wir uns in unseren Räumen wohlfühlen – und: dass uns auch direkt vor der Haustüre eine Möglichkeit der Erholung und ein Ort der Begegnung guttun. Ich glaube was deutlich geworden ist, in den letzten Jahrzehnten, ist, dass der öffentliche Raum, also das Stadtquartier, dort, wo man sich begegnet, eine enorme, neue Bedeutung erhalten hat.“ Was Frau Prof. Elisabeth Merk, Stadtbaurätin von München, anspricht, wird alle Stadtplaner, Projektentwickler und Architekten weltweit betreffen. Es geht um die großen Wohlfühlfaktoren auch im Kleinen. Die Gestaltung im Detail, in Häusern, Anlagen, Vierteln, ganzen Städten wird entscheidend sein für das Empfinden der Lebensqualität und ein generationen- und kulturenübergreifendes, aggressionsfreies, gesundes und harmonisches Miteinander.

 

Weiterführende Informationen Verein NAGS Austria „Wirkung von Architektur“

https://nags.at/wissen/wirkung-von-architektur/#:~:text=Architektur%20kann%20pr%C3%A4ventiv%20gegen%20Aggression%20wirken&text=Es%20ist%20unstrittig%2C%20dass%20der,und%20Denken%20und%20unser%20Sozialverhalten.